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Mitgliederbindung

Die erste Veranstaltung unter dem Signet Theorie-Praxis-Genossenschafts­ FORUM fand am 15.07.04 in der Genossenschaftsakademie in Forsbach statt. Herr Robert Weiler begrüßte als Vorstandsvorsitzender des Vereins zur Förderung der genossen­schafts­wis­senschaftlichen Forschung an der Universität zu Köln e.V. sowie als Hausherr in seiner Funktion als Verbandsdirektor des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbandes (RWGV) die ca. 40 Interessierten. Unter dem Generalthema „Die Mitgliederbindung vor neuen Herausforderungen“ wurde diese neue Dialogform zwischen Genossenschaftstheorie und Genossenschaftspraxis eingeleitet.

Der erste Themenblock war der Perspektive der regionalen Genossen­schafts­verbände gewidmet. Herr Moritz Krawinkel verdeutlich­t unter dem Titel „Mitgliederbindung an regionale Genossenschafts­verbände – Die Anforderungen der Mitglieder an Genossenschaftsverbände“ als Verbandsdirektor des RWGV durch wichtige Leitbilder das Profil seines Hauses. Gemäß der verschiedenen Geschäftsbereiche und Aufgaben eines regionalen Genossenschaftsverbandes, nämlich Prüfung, Beratung und Bildung sowie Betreuung und Interessenvertretung wurden Problembereiche und Ansatzpunkte zum Thema Mitgliederbindung herausgearbeitet.

Die Pflichtmitgliedschaft ist auch ein Fluch

Die Kernaufgabe, nämlich die Prüfung der angeschlossenen Mitglieder­genossen­schaften, bereitet dabei dem Verbandsdirektor die wenigsten Kopfzerbrechen und das nicht wegen der einzig in Deutschland bestehenden Pflichtprüfung und Pflichtmitgliedschaft von Genossenschaften in Prüfungsverbänden. Diese hält Krawinkel auch nicht für zukunftsträchtig in einem Europa, das diese Pflichtmitgliedschaft ansonsten nicht kennt. Daher ist das Leitbild der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die nach innen und außen unabhängig und weisungsungebunden aufgestellt ist, hier bestimmend.

Als problematischer erweist sich da schon das zweite Aufgabengebiet des Genossenschaftsverbandes nach Meinung des Verbandsdirektors: Beratung und Bildung. Wettbewerb ist hier das bestimmende Prinzip, das dazu führt, dass Mitglieder frei unter den fakultativen Verbandsleistungen auswählen können und die damit per Einzelbepreisung anfallenden Kosten in Rechnung gestellt bekommen.

Ebenfalls neue Herausforderungen ergeben sich im dritten verbandlichen Leistungssegment: bei der Betreuung und Interessenvertretung. Weniger die Interessenvertretung im politischen Raum steht hier im Mittelpunkt – denn auf bundesstaatlicher Ebene in Berlin und zunehmend auch auf europäischer Ebene in Brüssel wird über die relevanten Weichenstellungen entschieden und kaum noch im Landesparlament -, sondern zunehmend die Vertretung der Mitgliederinteressen im genossenschaftlichen Verbund sowie gegenüber Aufsichtsbehörden spielt eine wichtige Rolle. Die überregionalen Interessen des Genossenschaftssektors werden von den genossenschaftlichen Spitzenverbänden wie BVR, DGRV, DRV sowie ZGV vertreten.

Sehr kritisch fällt das Statement Krawinkels zur Pflichtmitgliedschaft aus: „Pflichtmitgliedschaft ist auch ein Fluch!“ Auch im Genossenschaftssektor könne ein Verband nicht die angeschlossenen selbstständigen Unternehmen in der Marktwirtschaft zum Erfolg führen.

Viele Fragen werden einleitend von Dr. Veit Luxem , dem Vorstandssprecher der Volksbank Erkelenz-Hückelhoven eG gestellt, die als Grundlage seines breit angelegten Statements dienen. Wichtig ist es ihm, auf die historische Wurzeln der Pflichtprüfung, der erst viel später gesetzlich vorgeschrieben Pflichtmitgliedschaft, der frühen Errichtung bundesweiter Genossenschaftsverbände und den späteren regionalen Gründungen hinzuweisen.

Dr. Veit Luxem

Hilfe durch regionale Genossenschaftsverbände bei den Zentralisierungs­bestrebungen im Finanzverbund

Kritisch betrachtet er die in den letzten Jahren erfolgte Verlagerung von Aufgaben aus den regionalen Genossenschaftsverbänden und aus der vor Ort verankerten Genossenschaftspraxis auf zentral agierende Organisationen wie BVR und DZ Bank, die zudem an wichtigen Partnern des genossenschaftlichen Finanzverbundes anteilsmäßig hoch beteiligt sind. Auch die Verlagerung der Sicherungseinrichtung vor drei Jahren in den Verantwortungsbereich des BVR erhöht die Entscheidungsverantwortung an zentraler Stelle. „Der BVR entwickelt sich zu einem Selbstläufer und hat über die Sicherungseinrichtungen einen großen Einfluss auf die Primärgenossenschaften“, so Luxem . Dabei erscheint auch ihm diese Entwicklung notwendig, denn der BVR soll seiner Meinung nach das strategische Kompetenzzentrum sein, das auch die zukünftige Produktpolitik federführend entwickelt. Und hier genau sieht er die Regionalverbände gefordert, über welche die Primärgenossenschaften Einfluss auf diese an zentraler Stelle entwickelten Strategiekonzepte nehmen könnten. Neben den Kernaufgaben der Prüfung, Rechtsberatung, Steuerberatung und Schulung sieht Luxem die regionalen Genossenschaftsverbände in der Pflicht, ihren Mitgliedern im Betreuungs- und Interessenvertretungsbereich zur Seite zu stehen, um regionale Koalitionen – im positiven Sinne verstanden – im Prozess der Zentralisierung entstehen zu lassen.

Bevor die Mitgliederbindung an Wohnungsgenossenschaften erörtert wird, stellt Herr Dr . Hans-Elmar Döllekes von der Kienbaum Consultants GmbH die empirische Studie „Mieter binden – Erfolg sichern. Studie über Einsatz und Eignung von Instrumenten zur Mieterbindung“ vor.

Vom Vermieter- zum Mietermarkt

Ausgehend von der steigenden Wettbewerbsintensität auf dem Wohnungsmarkt, der sich vom Vermieter- zum Mieter­markt wandelt, kommt der Mieterbindung in Wohnungsgesellschaften zunehmende Bedeutung zu. Mieter­bindung etabliert sich erst nach der Etablierung der Mieterzufriedenheit und Mieter­loyalität und führt dazu, dass Mieter nur innerhalb eines Unternehmens die Wohnung wechseln und ihren Vermieter auch weiterempfehlen. Kienbaum hat ein ganzes Modell der Zusammenhänge zwischen Mieterbindung, Mieterzufriedenheit sowie Mieterloyalität entwickelt, aus dem auch Instrumentensätze zur Herstellung der Mieterbindung abgeleitet werden.

In einer bundesweiten Befragung von 66 Wohnungsunternehmen und 70 Mietern im Jahr 2003 wurden die Instrumente der Mieterbindung, die in den Bereichen Kommunikation, Beschwerdemanagement, Services, Modalitäten des Mietvertrags sowie Wohnumfeld angesiedelt sind, in ihrer Bedeutung für die Mieter aus Sicht der Betroffenen und des Vermieters erfragt. Insbesondere die Hausmeister- und Handwerksleistungen, die das Wohnungs­unter­nehmen seinen Mietern zur Verfügung stellen, werden außerordentlich hoch geschätzt. Von den Vermietern unterschätzt werden die Bedeutung der Gebäudefunktionalität, der Gebäudereinigung, einer zentralen Beschwerde­annahmestelle sowie die öffentliche Nahverkehrsanbindung. Derartige Standortvorteile erweisen sich als hohe Wechselbarriere. Ebenfalls als Wechselbarriere erweisen sich zunehmend das Angebot ambulanter Pflegedienste sowie Babysitter-Service. Noch wichtiger scheint allerdings der Standort des Vermieters zu sein, der durchaus in der Nähe des Wohnobjektes gewünscht ist. Daneben sind selbstverständlich die Miethöhe sowie die auf die Bedürfnisse der Mieter abgestellte Laufzeit der Mietverträge wichtige Faktoren, die den potenziellen Mieter zum tatsächlichen werden lassen.

Adelheid Kress

Frau Adelheid Kress, hielt als Sprecherin des Vorstandes der Düsseldorfer Wohnungsgenossenschaft eG, ihrem Vorredner entgegen, dass sich die Wünsche und Bedürfnisse der Mieter ebenso wie die der Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften verändert haben, aber die Wohnungsgenossenschaften in der Regel eine solche Angebotsvielfalt anbieten, welche – verbunden mit dem Dauernutzungsrecht – dazu führt, dass die Mitglieder­bin­dung in den Wohnungsgenossenschaften funktioniert.

 

Genossenschaftsprinzipien verhindern Divergenzen in den Sichtweisen

Zwar gäbe es auch Probleme in diesem Segment der Wohnungswirtschaft, welches ca. 10 Prozent des Wohnungs­bestandes umfasst und von vielen sehr kleinen Genossenschaften, welche 10 bis 20 Wohnungen verwalten, bis hin zu Großanbietern, welche 17.500 Wohnungen umfassen, reicht. Auch hier schlägt sich der demographische Wandel nieder, so dass in den durchschnittlich 60 qm großen Wohnungen nur in etwa 50 % der Fälle zwei Personen wohnen, in nur noch 19% der Haushalte Kinder unter 18 Jahren leben und ein Drittel der Mitglieder über 60 Jahre und älter ist. Es wird deutlich, dass die Probleme des Leerstandes und Finanzierungsprobleme für den Neubau im Rheinland – anders als im Ruhrgebiet und vor allem in den neuen Ländern – sich noch nicht niedergeschlagen haben, aber auch hier Strategieüberlegungen, wie den Änderungen in den Rahmenbedingungen begegnet werden kann, notwendig sind.

Auch in der lebhaften Diskussion macht Frau Kress manifest, dass die Genossenschaftsprinzipien und die damit zusammenhängende Art der Unternehmensführung durch Beteiligung der Betroffenen keine Divergenzen in der Sichtweisen von Vermietern und Mietern zulässt.

Der geschäftsführende Direktor im Seminar für Genossenschaftswesen, Herr Prof. Dr. Hans Jürgen Rösner, bedankt sich abschließend bei den Teilnehmern für die anregenden Darstellungen und weiterführenden Diskussionsbeiträge. Im Herbst soll in den Räumen der Universität ein weiteres Theorie-Praxis-GenossenschaftsFORUM stattfinden, dieses Mal zum Generalthema „Management von Kreditrisiken in Genossenschaftsbanken“.

In angenehmer Atmosphäre klang das erste Theorie-Praxis-GenossenschaftsFORUM aus.