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Genossenschaftliche Neugründungen

Seit geraumer Zeit nimmt die Anzahl der genossenschaftlichen Unternehmen - bei allerdings steigenden Mitgliederbeständen - deutlich ab. Dies nimmt Prof. Wolfgang Harbrecht von der Universität Nürnberg in seinem Vortrag „Potenziale der genossenschaftlichen Rechts- und Wirtschaftsform für neue Unternehmen“ zum Anlass, um nach den Gründen zu fragen. Zunächst macht er auf Probleme aufmerksam, die vor allem vor der Novelle des Genossenschaftsgesetzes vom 18. August 2006 bestanden, um dann die wesentlichen Gesetzesänderungen und ihre potenziellen Auswirkungen auf die genossenschaftliche Neugründungsquote zu analysieren: die Ausweitung des Förderzwecks über ökonomische hinaus auf soziale und kulturelle Belange der Mitglieder, die Vereinfachungen für Kleinstgenossenschaften, die Stärkung der Demokratie und Mitgliederrechte sowie Möglichkeiten der Verbesserung der Finanzverfassung. Sind aber all diese Neuerungen geeignet, die Neugründungen von Genossenschaften zu fördern? Die Rechtsnovelle scheint nach Meinung von Harbrecht in die richtige Richtung zu weisen, denn unzweifelhaft bietet sie Erleichterungen für Gründungswillige, insbesondere durch Ausweitung des Förderzwecks und durch die Reduzierung der Anzahl der notwendigen Mitglieder. Aber nach wie vor mahnt Harbrecht Defizite an: im Bereich der Gründungsprüfung und bei der Pflichtmitgliedschaft in Verbänden fordert er Erleichterungen für kleine Genossenschaften. Weiteren Handlungsbedarf sieht er im Bereich „Beteiligung der Mitglieder am Unternehmenswert“ bei Ausscheiden aus der Genossenschaft. Außerdem moniert er, dass der Gesetzgeber nicht stärker die Mitgliederförderung durch die Leistungsbeziehung im Gesetz betont hat und dass das Nichtmitgliedergeschäft ohne Differenzierung zum Mitgliedergeschäft weiterhin unbeschränkt zugelassen ist.

Im Vergleich zur Rechtsform des Vereins erweist sich die umsatz-, gewerbe- und körperschaftsteuerpflichtige Genossenschaft als benachteiligt. Auch hat der Verein nur rudimentäre Buchführungspflichten zu erfüllen, so dass dieser vielfach anstelle der Genossenschaft als Rechtsform gewählt wird, obwohl eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht Zweck eines Idealvereins sein kann.

Ausblickend räumt Prof. Harbrecht der Genossenschaft zukünftig eine bedeutendere Rolle bei den Public-Private-Partnerships im Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben der Kommunen ein.

Prof. Dr. Frank Wallau vom Institut für Mittelstandsforschung (Bonn) informiert über die Anzahl der Gewerbeanmeldungen in den letzten Jahren und zugleich über die Lücken der Statistik, die keine geeigneten Zahlen über die Anzahl der Unternehmensneugründungen sowie über Praxisanmeldungen der freien Berufe zur Verfügung stellt. Allein in Nordrhein-Westfalen werden jährlich ca. 100.000 Unternehmen angemeldet. Aber es sind auch ca. 97.000 Liquidationen pro Jahr zu verzeichnen, so dass der Saldo gering ist. Die Unternehmensgründer sind im Durchschnitt 40 Jahre alt.

Prof. Wallau stellt auch detaillierte Informationen zur Unternehmensnachfolge vor: jährlich suchen in Deutschland ca. 70.000 Unternehmen einen Nachfolger, allein in NRW sind es 16.000. Deutlich macht er aber auch, dass die Rechtsform der Genossenschaft im Bereich Neugründungen nur ein Nischensegment ist; im Jahr 2006 wurden 141 Unternehmen in der Rechtsform der Genossenschaft in Deutschland neu gegründet. Den Vortrag von Dr. Wallau erhalten Sie hier.

Weitere Teilnehmer der Podiumsdiskussion sind Dr. Marcus Geschwandtner (RA bei der DHPG Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn), Frank Hemig (Geschäftsführer der Rechtsabteilung der IHK Köln), Dr. Axel J. Prümm (Bürgermeister der Stadt Grevenbroich), Ulrich Freund (Betriebsberater der HWK Düsseldorf), Bruno Simmler (Abteilungsdirektor gewerbliche Wirtschaft des RWGV in Köln). Leider konnte der vorgesehene Moderator, Dr. Burchard Bösche (ZdK, Hamburg) aufgrund des Bahnstreiks Köln nicht rechtzeitig erreichen, so dass Herr Prof. Rösner durch die Diskussion führt.

Dr. Marcus Geschwandtner bezieht sein Statement insbesondere auf die kleinen Genossenschaften und macht deutlich, dass aus seiner Sicht keine Gründungserleichterungen – sowohl für „mitgliederschwache“ als auch für „umsatz- und bilanzschwache“ Genossenschaften – durch die Genossenschaftsrechtsnovelle erzielt werden. Auf einen Aufsichtsrat könne trotz anders lautender Regelungen nicht verzichtet werden, da ansonsten alle Rechte und Pflichten des Aufsichtsrates auf die Mitglieder der Generalversammlung, sofern diese keine Vorstandsmitglieder der eG sind, übertragen werden. Schon bei der Einberufung der Generalversammlung müsse die Art der Sitzung – AR oder MV – geklärt werden, um den unterschiedlichen Formvorschriften zu genügen. Während bei bestehendem Aufsichtsrat nur solche Mitglieder haften, die ihre Sorgfaltspflichten verletzen, haftet die Generalversammlung bei aufsichtsratlosen Genossenschaften gegenüber der eG als Gesamtschuldner.

Der für kleine Genossenschaften vorgesehene Verzicht auf die Prüfung bezieht sich lediglich auf die Prüfung der Rechnungslegung im Sinne des HGBs und nicht auf die Prüfung der Geschäftsführung im Sinne des GenG, die weiterhin erhalten bleibt. Kritisch wird auch der Mitgliedermix, der sich durch die Zulassung investierender, fördernder und nutzender Mitglieder ergibt, von Dr. Geschwandtner betrachtet, und er fragt, wie die Quoten im Aufsichtsrat festzulegen seien. Als Fazit macht Dr. Geschwandtner darauf aufmerksam, dass es nicht gelinge, die Genossenschaft in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben. Auch bedauert er, dass in den Werbekampagnen nicht die Besonderheiten der Genossenschaft, nämlich die Identität von Kunde und Mitglied gezeigt werden.

Frank Hemig (IHK Köln) knüpft an den Vorredner insofern an, als auch er ein Vermittlungsproblem bei der Rechtsform der Genossenschaft sieht. Er macht darauf aufmerksam, dass sich für Unternehmensgründer die Frage nach der Rechtsform nicht vordringlich stelle. Vielmehr gründe der Unternehmer erst einmal ein Unternehmen und erst nach einiger Zeit stelle sich die Frage, ob die gewählte Rechtsform überhaupt die passende sei und ggf. komme es zur Rechtsformanpassung. Am Beispiel der Limited macht Hemig deutlich, dass intensive Bewerbung eine Rechtsform auch populär machen könne.

Dr. Axel Prümm ist nicht nur Bürgermeister der Stadt Grevenbroich, sondern auch Aufsichtsratmitglied einer Genossenschaft. Er berichtet über die Rettung eines Landschulheimes in der Eifel durch die Bildung einer Genossenschaft. In einem nicht ganz einfachen Prozess sei es gelungen, dass die Verantwortlichen, Beteiligten und Kritiker sich konstruktiv einbringen, um notwendige Instandsetzungsarbeiten zu ermöglichen. Diese genossenschaftliche Lösung hält Dr. Prümm für übertragbar auf andere Aufgaben im Rahmen der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben einer Kommune. Zur Zeit sucht er gemeinsam mit dem Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband genossenschaftliche Lösungen im Bereich Sportstätten. Deutlich wird, dass viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist - nicht nur bei den Vereinsvertretern, sondern auch bei den kommunalen Politikern.

Der Betriebsberater der Handwerkskammer Düsseldorf, Frank Freund, bestätigt die von Prof. Wallau eingangs skizzierte geringe Relevanz der genossenschaftlichen Rechtsform bei Unternehmensneugründungen: 0,01 % der in der Handwerksrolle eingetragenen Handwerksbetriebe haben die Rechtsform einer Genossenschaft. Obwohl die Handwerker durch die vielen handwerksspezifischen Einkaufsgenossenschafen die Rechtsform kennen, wählen sie diese nicht für das eigene Unternehmen. Die fehlende Nähe zum Genossenschaftssektor zeigt sich u.U. auch darin, dass sich 60 Prozent der Handwerker über die Sparkassen, nur 25 Prozent über die Volksbanken finanzieren. Freund bestätigt das verschiedentlich schon vorgetragene Imageproblem der Genossenschaft und die Unkenntnis der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer sowie der Mitarbeiter der IHKen und HWKen in diesem Bereich. Auch macht er darauf aufmerksam, dass viele Förderprogramme die Gründung einer Genossenschaft nicht unterstützen, so z.B. das Förderprogramm für Meister, das vorsieht, dass diese mit mindestens 50 Prozent am Unternehmen beteiligt sein müssen. Weitere Barrieren sieht er in den zu beachtenden Formalien, die auf viele Handwerker abschreckend wirken. So komme es nur selten zur Gründung einer Genossenschaft, obwohl ein Kooperationsbedarf gerade im Bereich des Handwerks objektiv bestehe.

„Nit quake – make!", Bruno Simmler vom RWGV verweist auf das Motto der Düsseldorfer Jecken in der Session 2005/2006 und möchte den Blick in die Zukunft richten. Er sucht dringend Multiplikatoren, die sich werbend für die Rechtsform der Genossenschaften einsetzen. Anhand vieler Beispiele verdeutlicht er das Paradoxon, dass zwar ein Bedarf kooperativer Selbsthilfe in den Bereichen Handwerk, Sozialwirtschaft und dabei speziell im Gesundheitswesen vorhanden sei, aber viele Faktoren die Entstehung von Genossenschaften verhindern. U.a. nennt er die Versorgungsmentalität in Deutschland, die die Bereitschaft für Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative stark einschränkt. Auch schrecke insbesondere das Handwerk vor gegenseitiger Verpflichtung zurück. In diesem Umfeld könne eine eG nicht funktionieren.

Das Publikum bringt sich engagiert in die Diskussion ein. Die Beiträge zeigen, dass die Zuhörer von Genossenschaften mehr als von Unternehmen in anderen Rechtsformen erwarten und dass die Mitgliederorientierung sowie die Mitgliederpartizipation, aber auch eine gewisse Verantwortung für die Gesellschaft mit dieser Rechts- und Wirtschaftsform verbunden wird.